“Der Faschist” lauten die Zeilen dieses Beitrags aus dem Bereich “Lyrik und Poesie”. Der folgende Beitrag stammt von Helmut Voigt, der im Jahr 2017 verstorben ist und zahlreiche Gedichte, Kurzgeschichten sowie nachdenkliche Texte hinterlassen hat, die wir gerne veröffentlichen.
Der Faschist
oder: es gibt sie immer noch und überall
In dem kleinen Dorf nannten ihn die Leute immer nur ‚den Faschisten. Wenn jemand die Dorfbewohner fragte: „Aber warum nennt ihr ihn denn ‚Faschist‘?“, so antworteten diese: „Weil er eben ein Deutscher ist. Und alle Deutschen waren Nazis!“
Dies alle‘ hatte eine endgültige und unerschütterliche Aussagekraft und bedurfte keiner Diskussion. Und wehe, wenn ein unwissender Fremdling auch nur wagte, zu fragen, ob man zu diesen Nazis auch die deutschen Widerstandskämpfer im Dritten Reich zählte, schon wäre dieser Fremde sofort in den Verdacht geraten, selbst ein Nazi zu sein. Deshalb wagte es auch niemand.
Ein gewisses Verständnis für die Haltung der Einwohner des Dorfes, wenn auch kein Einverständnis, könnte man aufbringen, wenn man bedächte, dass das Dorf im letzten Krieg von deutschen Truppen überfallen und zerstört worden war. Und außerdem führte dieser Deutsche, dieser ‚Faschist‘, wie sie ihn nannten, auch nicht gerade das elende und jammervolle Leben, das ihm die meisten Dorfbewohner von Herzen wünschten.
Er wohnte eben nur zurückgezogen am Rande der Ortschaft und man sagte sich, er habe keinerlei Freunde, der Feind, was ja auch für einen Deutschen mehr als verständlich sei. Man sah ihn nicht als Menschen an, sondern nur als den Vertreter eines verwerflichen Volkes, ohne auch nur zu ahnen, dass er seine ehemalige, deutsche Heimat, zur Zeit des Faschismus, eben aus politischen Gründen verlassen musst, um sich später dann hier anzusiedeln.
Die Tatsache, dass er zudem Protestant war, beschwor weiteren Protest gegen ihn in der Bevölkerung herauf. Gegen den erbitterten Widerstand der Dorfbewohner wurde ihm, nachdem er eines Tages tot in seiner Wohnung aufgefunden wurde, vom Gemeindepfarrer ein Platz auf dem örtlichen Friedhof zugewiesen.
Doch selbst auf dem Friedhof fand er keinen Frieden. Über das, in den Grabstein gemeißelte Kreuz des Königs der Juden, hatte ein Dorfbewohner mit blutroter Farbe ein Hakenkreuz geschmiert und das Wort ‚Schwein‘ daruntergeschrieben. Genauso, wie es einstmals die Nazis mit den jüdischen Geschäften getan haben.