Leiche im Keller

In diesem Beitrag lesen Sie nachdenkliche Zeilen aus dem Bereich „Lyrik und Poesie“. Der folgende Beitrag stammt von Helmut Voigt, der im Jahr 2017 verstorben ist und zahlreiche Gedichte, Kurzgeschichten sowie nachdenkliche Texte hinterlassen hat, die wir gerne veröffentlichen.

Leiche im Keller.

Ein alter Mann lebte zurückgezogen in einem noch älteren Haus, und da man ihn nur selten zu Gesicht bekam, machten sich die Leute ihr eigenes Bild von ihm. „Er ist verschroben, aber ungefährlich,“ behaupteten einige Leute. „Wer weiß, was der alte Herr in seinem Haus so alles treibt“, lästerten Andere. Doch niemand nahm ihn so recht ernst, bis eben zu dem Tag, an dem das kleine Mädchen spurlos verschwand.

Der Verdacht fiel auf den alten Mann, der trotz seines eher weltfremden und menschenscheuen Verhaltens eigentlich immer als kinderlieb galt. Bald schon ging im ganzen Dorf das Gerücht um, er habe das Mädchen getötet und dessen Leiche im Keller versteckt. Und schon beim sonntäglichen Gottesdienst erklang ein merkwürdiges Tuscheln und Geflüster, das sich nicht gerade wie Beten anhörte.

„Lüstling, Lüstling“ klang es und sogar von Todesstrafe war die Rede, während der Pfarrer von Nächstenliebe und vom Fünften Gebot predigte. Und natürlich musste in einem solchen Fall auch die Polizei eingeschaltet werden, die jedoch, wegen des noch unbegründeten Verdachtes, der Sache nicht näher nachgehen konnte. So veranlasste das bürgerliche Pflichtbewusstsein einige Leute, selbst geeignete Maßnahmen zum Wohl der Allgemeinheit und zur Sicherheit der Bevölkerung zu ergreifen, um sich Gewissheit über das rätselhafte Verschwinden des Mädchens zu verschaffen. In telefonischen Warnungen und in Drohbriefen wurde dem Mann höflich, doch mit Nachdruck, nahegelegt, sich selbst freiwillig der Polizei zu stellen. Andernfalls würde man ihn mit geeigneten Mittel überführen.

Es ist nur verständlich, dass auch eine Zeitung Interesse an den Nachforschungen zeigte, allerdings ein Interesse, das mehr der Person des mutmaßlichen Täters, als dem vermeintlichen Opfer galt.

 „SCHLACHTET ALTER MANN JUNGES MÄDCHEN?“

„DER HEXER SCHLÄGT ZU: LEICHE IM KELLER“

Als nach so viel erregter Aufmerksamkeit und erweckter Aufregung in der Öffentlichkeit schließlich auch die Polizei ihrer Verpflichtung zum Schutz der Allgemeinheit nachkam und den Hintergrund des Falles, sprich: die Wohnung des Verdächtigen untersuchte, wurden ihre Befürchtungen in vollem Ausmaß bestätigt. Denn man fand tatsächlich eine Leiche im Keller und die Zeitung wartete prompt mit der nächsten Schlagzeile auf: VERDACHT BESTÄTIGT: LEICHE IM KELLER!

„Wer hat nur den armen alten Mann ermordet“, rätselten die Leute im Ort.

„Wer wagt es, sich an einem kranken, wehr- u. mittellosen älteren Mitbürger zu vergreifen“, empörten sie sich mitfühlend.

„Man kann ja seines Lebens nicht mehr sicher sein.“

Gab es da nicht ganz in der Nähe einen geistig zurückgebliebenen, jungen Mann, der für die Tat in Betracht kommen konnte?

Und möglicherweise wäre dieser auch eines gemeinen Mordes überführt worden, wenn nicht die Polizei eindeutig Selbstmord als Todesursache bei dem alten Mann festgestellt hätte.

„Er war krank“, flüsterten die Leute. „Er war alt“, wisperten sie. „Durch seinen Selbstmord hat er Gott gelästert und unser Mitleid nicht mehr verdient“, zischelten sie. „Irgendetwas stimmt nicht mit ihm und war nicht in Ordnung“, tuschelten sie, und erst als sich kurz darauf herausstellte, dass das vermisste Mädchen lediglich nach einem Streit nur von zu Hause fortgelaufen war, und wohlbehalten in einer alten Scheune, in der es sich versteckt gehalten hatte, gesund aufgefunden wurde, wich der Schatten des Verdachtes endgültig von dem alten Mann, so dass alles doch noch ein gutes Ende nahm.

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